Über Männer, die Aphorismen über Frauen schrieben, und deren süße Rache im Modus des Klatsches
Der erste Part unserer dreiteiligen Featureserie nähert sich mit Argusaugen kleinen Formen des Schreibens, die die Herren der Schöpfung dem ihnen überlegenen Geschlecht zugedacht haben. Allen voran der Aphorismus, welcher in der Antike und um 1900 die garstigsten Blüten trug, aber auch die Anekdote, jene schrullige Schwester des Altherrenwitzes, die man genauso „dürfen muss“ (Maren Jäger) wie den Aphorismus. Wenn Männer historisch über Frauen schrieben – die heute gestern die von morgen waren – verhieß das oft nichts Gutes. Und die Rache kommt sogleich. Mit der Trias ‚Klatsch, Tratsch und Lästereien‘ werden – in der zweiten Hälfte des ersten Feature-Teils – Formen oder besser: Modi des Sprechens verhandelt, die das patriarchale Herrschaftsgefüge gefährlich ins Wanken bringen können.
Selten wagen wir uns dabei über die Grenzen des Diskursiven hinaus und schauen direkt über den Kraterrand in den Schlund der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Was uns interessiert, sind weniger Pauschalaussagen über das „Wesen“ eines Geschlechts – à la Statements wie „‚Männer/Frauen waren/sind so und so“. Was uns interessiert, ist vielmehr das Konglomerat an Redeweisen, die zu einer jeweils bestimmten historischen Situation über die Geschlechterverhältnisse gängig waren.
Rückfragen, Beschwerden oder Kritik bitte per Mail an microform-podcast.idl@hu-berlin.de.
Die GesprächspartnerInnen
Prof. Dr. Andreas Kraß, Professor für ältere deutsche Literatur/Literatur des hohen Mittelalters an der Humboldt-Universtität zu Berlin sowie Leiter der ebenfalls an der HU angesiedelten Forschungsstelle für Kulturgeschichte der Sexualität. Seit Mai 2023 arbeiten Kraß und sein Team dort an dem Projekt Queer Reading – eine Methodologie. Deutsche Literatur im Zeitalter des Paragraphen 175 (1872-1994). Im Druck befindet sich der Aufsatz „Erzählen von Hirschfeld. Literatur im Zeitalter des Paragraphen 175 und danach“ (erscheint in: Hirschfeld heute, hrsg. von Andreas Pretzel). 2006 habilitierte sich Kraß mit der Arbeit Geschriebene Kleider. Höfische Identität als literarisches Spiel (Bibliotheca Germanica 50). 2016 erschien im S. Fischer Verlag Ein Herz und eine Seele. Geschichte der Männerfreundschaft.
Dr. Maren Jäger: Von 2017 bis 2023 Postdoktorandin am Graduiertenkolleg Kleine Formen. Habilitationsschrift über die Geschichte der „Brevitas: Kürze zwischen Ökonomie und Ästhetik“ (Arbeitstitel). Jäger engagiert sich für die Vermittlung von Lyrik an ein breites Publikum und für Wissenschaftskommunikation in den Geisteswissenschaften (vgl. das Pilotprojekt teststrecke.berlin). Zum Aphorismus publizierte sie den Aufsatz „Organik und Mechanik, Kürze und Enzyklopädie. Franz Josef Czernins Aphorismen. Eine Annäherung“, in: Franz Josef Czernin, hg. von Thomas Eder, München 2017, 125–148. (Profil).
Dr. Dirck Linck, Literaturwissenschaftler und Historiker, Autor von Halbweib und Maskenbildner. Subjektivität und schwule Erfahrung im Werk Josef Winklers (1993) sowie Herausgeber von Frauenliebe – Männerliebe. Eine lesbisch-schwule Literaturgeschichte in Porträts (1997, zusammen mit Alexandra Busch). Weitere Aufsätze und Bücher zur Geschichte der Kunst und der Ästhetik. 2016 erschienen im Männerschwarm-Verlag Lincks gesammelte „Aufsätze zu Homosexualität und Literatur“ unter dem Titel Creatures. An der Freien Universität forschte Linck im SFB 626 „Ästhetische Erfahrung im Zeichen der Entgrenzung der Künste“. Er war zudem Mitherausgeber und Redakteur der Zeitschrift FORUM HOMOSEXUALITÄT UND LITERATUR.
Literaturhinweise:
Demosthenes: Against Neaera, in: Speeches from Athenian Law, hrsg. von Michael Gagarin, Houston 2011, 144–182.
Dunbar, Robin: Grooming, Gossip, and the Evolution of Language, Cambridge, Mass. 1997.
Foucault, Michel: Sexualität und Wahrheit, Bd. 2: Der Gebrauch der Lüste, übers. von Ulrich Raulff und Walter Seitter, Frankfurt/Main 1989.
Jöhnk, Marília: crônica, in: Enzyklopädie der kleinen Formen [Audio-Enzyklopädie des Podcasts microform], Berlin 2019, URL: www.kleine-formen.de/enzyklopaedie-cronica.
Szczepaniak, Monika: Zum Bild der Frau in den Essays und Aphorismen von Karl Kraus, in: Studia Germania Gedanensia 8 (2000), 77–107.
Weininger, Otto: Geschlecht und Charakter [1903]. Eine prinzipielle Untersuchung, Wien u.a. 1919.
Credits:
Text:
Dr. Marie Czarnikow und Florenz Gilly
Redaktion: Lara Helder
Schnitt: Maximilian Dazert und Leonie Bartel,
Florenz Gilly
Hörspiel (Schauspieler):
Paul Guliani
In weiteren Rollen:
Claas Oberstadt (Foucault)
Lina Bina, Maria Himmelbauer, Lydia Mörk-Mörkenstein
Musik:
„Bad Words“ by Muddy River
„How Are You All Doing This Evening?“ von Hilary Allen
„Boy, Book of Love“ von Polyanna
„Turning to you” und „Bright and Blank” von Blue Dot Sessions
„Oj Dana“ und „Twoja Wladza“ von Chór Czarownic/The Witches Choir
Alle Songs wurden entweder unter einer Creative Commons-Lizenz veröffentlicht oder sind in der Public Domain frei verfügbar.
Ausschnitte aus dem Film The Woman (1939) von George Cukor
unter Wahrung des wissenschaftlichen Zitatrechts.
Jingle (Stimme): Cathrin Bonhoff
Jingle (Musik): Michael Hoeldke