Johann Gartlinger

Mimetische Kritik im Anschluss an Friedrich Schlegel
Auf den ersten Blick scheint die Engführung von „Mimesis“ und „Kritik“ widersprüchlich, vereint doch Mimesis eher die Vorstellungen von Angleichung, Anpassung und Reduktion von Distanz, wohingegen Kritik gerade auf Abgrenzung, Unterscheidung und Distanz angewiesen ist. Aber – und diesem Zusammenhang möchte ich in meinem Promotionsvorhaben nachgehen – ihre Zusammenführung kann auch produktiv gemacht werden und neue Perspektiven auf die aktuelle Auseinandersetzung mit Kritik eröffnen. Mimetische Kritik kann zu einer vielversprechenden kritischen Strategie werden, wenn allgemeingültige epistemologische und normative Grundlegungen einer skeptischen Befragung unterzogen werden. Dieser These möchte ich im Dialog mit Friedrich Schlegels Werk nachgehen, der an der Jahrhundertschwelle vom 18. zum 19. Jahrhundert in einer nicht nur geistesgeschichtlich, sondern auch politisch und sozial wichtigen Zeit mit Problemen umzugehen versucht, die auch heute noch von Bedeutung sind.
Konkret möchte ich mich zunächst Schlegels verstreuten Überlegungen zur Skepsis widmen und diese zu einem Ausganspunkt für die Rekonstruktion seines Kritikverständnisses machen. Flankiert werden soll dieser Ausgangspunkt mit einer eingehenden Lektüre seiner Notizen und Fragmente „Zur Philologie“. In einem zweiten Schritt möchte ich mich dann seinen Rezensionen zuwenden, die Friedrich Schlegel zusammen mit seinem Bruder August Wilhelm Schlegel als „Charakteristiken und Kritiken“ bündelt und 1801 veröffentlicht. Abschließend möchte ich mich seiner 1804 erschienenen Edition von ausgewählten Schriften Lessings mit dem Titel „Lessings Gedanken und Meinungen“ zuwenden.
In allen präsentierten Schriften lassen sich Elemente einer mimetischen Kritik finden. Sie sind aus kleinen Schriften kompilierte größere Werke; sie beziehen sich auf Schriften anderer Autoren, die als Ausgangs- und Abstoßungspunkt für Schlegels eigene Positionierung dienen; sie sind durchsetzt von direkten und indirekten Zitaten, intertextuellen Bezügen, Metaphernübernahmen und weiteren Verschränkungen von Ausgangstext und Schlegels Bearbeitung. Mimesis als Nachahmung von etwas Bestehendem wird von Schlegel dann als kritische Strategie verwendet. Die mimetische Angleichung an einen bereits vorhandenen Text schafft eine Grundlage, die Bedeutungsspielräume eröffnet und Kritik ermöglicht. Ihrer skeptischen Ausrichtung nach muss sie sich auf die zu kritisierende Vorlage einlassen und diese dann – in immer neuen Anläufen – je aktuellen Kontexten anpassen.
Mimetic critique following Friedrich Schlegel
At first glance, the combination of “mimesis” and “critique” seems contradictory, as mimesis tends to address ideas of alignment, adaptation and reduction of distance, whereas critique is dependent on distinction, definition and distance. But – and this is the context I would like to explore in my doctoral project – their combination can also be made productive and open up new perspectives on the current debates on critique. Mimetic critique can become a promising critical strategy if generally valid epistemological and normative foundations are subjected to skeptical scrutiny. I would like to pursue this thesis in a dialog with Friedrich Schlegel’s work, which attempts to deal with problems that are not only relevant at the threshold between the 18th and 19th century, but also for our current times.
Specifically, I would like to focus on Schlegel’s scattered reflections on skepticism and make these a starting point for the reconstruction of his understanding of criticism. This starting point will be flanked by an in-depth reading of his notes and fragments “On Philology”. In a second step, I would then like to turn to his reviews, which Friedrich Schlegel bundled together with his brother August Wilhelm Schlegel and published in 1801 as “Characteristics and Critiques”. Finally, I would like to turn to his 1804 edition of selected writings by Lessing entitled “Lessings Gedanken und Meinungen”.
Elements of a mimetic critique can be found in all the writings presented. They are larger works compiled from smaller writings; they refer to the writings of other authors, which serve as a point of departure and repulsion for Schlegel’s own positioning; they are interspersed with direct and indirect quotations, intertextual references, metaphor transfer and further interweavings of the source text and Schlegel’s adaptation. Mimesis as the imitation of something existing is then used by Schlegel as a critical strategy. The mimetic adaptation of an existing text creates a basis which in turn opens up a scope of meaning and enables criticism. According to its sceptical orientation, it must engage with the source to be criticized and then – in ever new attempts – adapt it to current contexts.