Workshop
09/02 – 10/02/2023
ab 9:40 Uhr
Akten: Kleine Form und Konvolut
Humboldt-Universität zu Berlin | Hauptgebäude | Raum 2070 A | Unter den Linden 6, 10117 Berlin
Workshop des Graduiertenkollegs 2190 „Literatur- und Wissensgeschichte kleiner Formen“ in Kooperation mit Burkhardt Wolf (Universität Wien) und Peter Plener (Österreichisches Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport)
Organisation: Felix Lindner, Peter Plener, Julia Steinmetz und Burkhardt Wolf
Gibt es ein Motto, das das Prinzip einer verwalteten Welt auf eine Formel bringt, dann der altrömische Prozessgrundsatz: Quod non est in actis, non est in mundo. Bereits in antiker Justiz und Verwaltung herrschte jenes Primat der Verschriftlichung, das aus einer Handlung oder Aussage eine Rechtssache und einen Geschäftsfall macht. Akten sind seither nicht nur die Grundlage von Bürokratien im Sinne Max Webers‚ sondern von Verwaltungs- und Rationalisierungsmaßnahmen in diversen – etwa pädagogischen oder medizinischen, militärischen oder wirtschaftlichen – Institutionen oder Organisationen. Als Medien administrativen Handelns inkorporieren und bündeln Akten durch Aufschreibesysteme und Kulturtechniken geprägte kleine Formen wie Protokolle, Konzepte, Formulare, Tabellen, Notate oder Listen und bringen diese in ein und denselben Geschäftszusammenhang. Diese ad acta gelegten Kleinformen zeichnet aus, dass sie durch ihre Gebrauchsroutinen geformt, auf Knappheit und Zirkulationsfähigkeit angelegt sind und als einzelne Teile eines Faszikels interagieren. Sie sind Produkte von Formalisierungs- und Kompressionsprozessen, sind an der Vermittlung von Informationen oder Bündelung von Wissen beteiligt und treten immer im Plural auf. Somit prägen sie nicht nur administrativen Schriftverkehr und behördliche Kommunikation – akkumuliert und zu den Akten gelegt, erfüllen sie ebenso die Rechenschaftspflicht der Verwaltungen, was allererst eine historiographische Dokumentation ihres Tuns ermöglicht.
Der Workshop Akten: Kleine Form und Konvolut widmet sich der Akte als Mediencontainer, der unterschiedlichste (kleine wie auch aggregierte) Schreib- und Textformen bündelt, sowie ihrer Bedeutung für administratives, institutionelles und künstlerisches Handeln. Dabei sollen in Fallstudien Fragen der Materialität, der Medialität und des Formats von Akten und den in ihnen gebündelten Schriftstücken thematisiert und Akten praxeologisch in den Blick genommen werden. Aus dem Verständnis der Akte als Konglomerat unterschiedlichster kleiner Formen im Kontext administrativen Handelns ergeben sich u. a. folgende Themenkomplexe:
1) Erstens soll der Workshop die (Ab-)Geschlossenheit der Akte als Mediencontainer hinterfragen. Wie Dokumente zu einer Akte werden, unterliegt keiner allgemein gültigen Norm und wird im je gesetzten Bezugsrahmen entschieden. Man frage nur nach der Definition von Akten, der Verfasstheit entsprechender Verarbeitungsformen bzw. Ablagesysteme und danach, wer entscheidet, was in Akten zu stehen kommt und wer auf welche Weise Zugriff hat. Neben behördlichen Akten und literarischen und verwaltungskritischen Texten, die den Umgang mit Aktenmaterial thematisieren, bieten hier auch historische Krankenakten einen privilegierten Untersuchungsgegenstand, zumal sie nicht nur Produkte institutioneller und ärztlicher Aufschreibepraxis sind, sondern darüber hinaus nicht selten Horte persönlicher Selbstzeugnisse von PatientInnen, die im Kontext der künstlerisch-literarischen (Neo-)Avantgarden vereinzelt auch als literarische kleine Formen Anerkennung fanden.
2) Zweitens soll der Workshop die Akte als (historiographische) Ressource in den Blick nehmen: Geraten Akten als materielle Ressource in den Fokus, werden Fragen nach ihrer Zugänglichkeit, den damit fälligen Praktiken der Quellenarbeit und damit verknüpften Gebrauchsroutinen aufgeworfen, die sowohl deren Materialität als auch ihre Inskriptionen adressieren. Wie verhalten sich Akten zu anderen (Schrift-)Medien? In welchem Verhältnis stehen Exzerpte und Kopien von Akten zu ihrem Original? Und wie wird Aktenmaterial zur produktiven Quelle?
3) Drittens sollen Übergänge zwischen amtlichen und literarischen Schreibweisen, zwischen behördlichen Aufzeichnungsverfahrensweisen und Methoden der Eigenkontrolle literarischen Schreibens untersucht werden: In welchem Verhältnis stehen etwa Akten und literarische Nachlässe? Entstehen formale Kollateralschäden, sobald das Aktenführen in informelle Verwaltungspraktiken, etwa zur Eigenkontrolle literarischen Schreibens, migriert? Lassen sich dabei spezifische Techniken ausmachen, die die Übersetzung administrativer Gebrauchsformen in die Aufzeichnungspraktiken eines Kreativitätsmanagements möglich und wahrscheinlich machen? Wissen aktensimulierende Selbstverwaltungen etwas über administratives Handeln, das Bürokratien nicht wissen? Und in welchen Rollen und Formatvorstellungen gehen Akten selbst in Literatur und Bürokratiedarstellungen ein?
Der Workshop wird am 09. – 10. Februar 2023 an der Humboldt-Universität zu Berlin stattfinden. Wir bitten um Anmeldung bis zum 06.02.23 unter: